Unified Namespace (UNS) – Anwendung in der Fertigungs­industrie

Inhalt

Die Digitalisierung der industriellen Produktion wird seit Jahren mit immer höheren Investitionen vorangetrieben. Doch eine umfassende fabrik- oder gar unternehmensweite Vernetzung ist immer noch die Ausnahme. Laut McKinsey gibt es zwar ein Wertschöpfungspotenzial von 3,7 Billionen USD, allerdings können mehr als 70 % der Unternehmen dieses Potenzial nicht ausschöpfen (Quelle). Selbst bei Werksführungen durch sogenannte Leuchtturm-Fabriken sind oftmals die vorgestellten Produktionslinien selbst Leuchttürme. Was hindert die Branche also am Durchbruch? Und kann die Anwendung des Unified Namespace (UNS) in der Fertigungsindustrie Abhilfe schaffen?

 

Das Datenproblem in der Fertigungs­industrie

Um das zentrale Problem in der Industrie zu identifizieren, werfen wir zunächst einen Blick auf das Wertschöpfungspotenzial von 3,7 Billionen USD. Woher kommt dieses immense Potential? Die einfache Antwort: Daten. Industrie 4.0 strebt danach, sämtliche Daten zu nutzen, um umfassende Einblicke in die vergangene, aktuelle und künftige Geschäftslage zu erhalten. Dies umfasst:

    1. die Analyse vergangener Geschäftsvorgänge zur Schaffung von Transparenz bei Schlüsselkennzahlen wie der OEE
    2. die Überwachung und Analyse aktueller Prozesse (z.B. durch die Implementierung von Condition Monitoring)
    3. die Vorhersage künftiger Geschäftsvorgänge (z.B. durch die Vorhersage von Maschinenausfällen).

Obwohl die effektive Nutzung von Daten entscheidend ist um wettbewerbsfähig zu bleiben, ist es der Industrie bisher nicht gelungen, den Durchbruch zu schaffen. Neben allgemeinen Herausforderungen wie Datensilos, Datenqualität und Datensicherheit existieren die folgenden zwei spezifischen Probleme in der Fertigungsbranche.

 

1. Applikationszentrische Architektur

Heutige Systemarchitekturen sind komplex. Jeder Systemanbieter, sei es im Bereich OT oder IT, betrachtet die eigene Applikation häufig als zentralen Dreh- und Angelpunkt. Applikationen werden mit sämtlichen anderen Applikationen auf den benachbarten Ebenen der Automatisierungspyramide integriert. Dabei wird jede Integration individuell erstellt und gepflegt. Die Folge: Protokolle, Datentypen und -strukturen werden von Integration zu Integration erneut übersetzt. Doppelarbeit und steigende Komplexität sind die Folge. Denn mit jeder individuellen Integration erhöht sich die Gesamtkomplexität der Architektur, wodurch die Vernetzung von Systemen zunehmend aufwendiger und komplizierter wird.

Komplexe Systemarchitekturen in der FertigungsindustrieHinzu kommt: Die Abhängigkeit von einem OT oder IT System steigt mit jeder Integration. Dabei ergibt sich die Abhängigkeit meist nicht aufgrund der Vorteile und Eigenschaften der Applikation, sondern aus dem undurchsichtigen Geflecht an Integrationen, die um sie herum aufgebaut sind. Das Resultat: Obwohl Systeme (Applikationen) austauschbar sein sollten, stehen sie oft im Zentrum der Architektur (applikationszentrische Architektur).

 

2. Extreme System Heterogenität in OT und IT

Die Integration von OT/IT (z.B. Maschinen, Historian, MES) findet meist im Brownfield statt, mit erheblichen Unterschieden zwischen Produktionslinien und Fabriken. Es existieren zahlreiche Generationen von Systemen nebeneinander, von denen einige möglicherweise schon seit Jahrzehnten in Betrieb sind. Diese Heterogenität der Systeme nimmt im Allgemeinen mit der Größe des Unternehmens zu. Das Fehlen von Standards in den Systemen, ihren Schnittstellen und deren Datensemantik erschwert die Anbindung und die Vernetzung der Systeme erheblich.

 

Der Unified Namespace (UNS) – ein Überblick

Im Gegensatz zu einer applikationszentrische Architektur stehen bei einer datenzentrischen Architektur Daten im Mittelpunkt. Die Idee besteht darin, dass Applikationen um Daten herum gebildet werden und austauschbar sind. Genau hier setzt das Konzept des Unified Namespace (UNS) an. Der UNS ist ein Architektur-Konzept, das darauf abzielt, alle Daten eines Unternehmens in Echtzeit zentral zugänglich zu machen. Dabei stehen die Daten über eine einheitliche Namenskonvention und Datenstruktur in einem zentralen Message Broker zur Verfügung. In der Fertigungsindustrie finden häufig MQTT und Kafka als Unified Namespace (UNS) Broker erfolgreich ihre Anwendung. Dabei können angebundene Systeme sowohl als Datenproduzenten als auch als Datenkonsumenten agieren. Sie publizieren und abonnieren Daten über den Broker und halten sich dabei an werks- oder unternehmensweite Datenstandards.Unified Namespace (UNS) in der Fertigungsindustrie

Dies ermöglicht eine einfache Organisation und den Zugriff auf Daten über verschiedene Systeme und Standorte hinweg. Eine detailliertere Einführung in das UNS Konzept finden sie hier.

 

Anwendung in der Fertigungs­industrie

Während das Konzept eines UNS in verschiedenen Branchen eingesetzt werden kann, gilt es in der Fertigungsindustrie einige spezifische Fragen zu klären. Beispiele hierfür sind die Frage nach der geeigneten Architekturebene für das Broker Deployment (z.B. Factory Edge, Cloud) oder die Frage nach der Integration von OT-Systemen (z.B. Maschinen). Häufig gilt es dutzende oder gar Hunderte von Fabriken sowie Tausende von Anlagen, Systemen und Technologien zu integrieren. Außerdem müssen die Kosten für die Implementierung und Wartung einer solchen Architektur berücksichtigt werden. Eine sorgfältige Evaluierung und Abwägung der Vorteile im Voraus sind entscheidend für den Erfolg.

 

Vorteile des Unified Namespace (UNS)

Die Anwendung des Unified Namespace (UNS) hat wesentliche Vorteile gegenüber der klassischen Automatisierungspyramide. So erhöht der UNS die Datenverfügbarkeit, Skalierbarkeit und dynamische Austauschbarkeit der beteiligten Systeme. Weitere Vorteile sind:

  1. Eine flexible Architektur, die sich an sich ändernde Geschäftsanforderungen anpassen kann (z.B. scale-up oder scale-down Szenarien)
  2. Ein zentraler Ort für die gemeinsame Nutzung und Verwaltung von Fabrikdaten (Single Source of Truth), unabhängig von Quelle, Protokoll oder
  3. Interoperabilität über Abteilungen, Prozesse, Systeme und Technologien hinweg
  4. Verbesserte Datenzugänglichkeit und Transparenz für alle Nutzer
  5. Unabhängigkeit von OT-/IT-Systemanbietern

 

Herausforderungen bei der Implementierung

Der UNS ist ein Konzept für die architektonische Gestaltung einer skalierbaren Dateninfrastruktur. Es ist keine „One-Size-Fits-All“-Lösung, die einfach installiert und sofort einsatzbereit ist. Vielmehr bedarf es der richtigen Tools, Organisation, Prozesse und Vorgehensweise um einen UNS erfolgreich zu implementieren. Zwei wesentliche Herausforderungen sind:

1. Single Point of Failure: Ein UNS kann ein Single-Point-of-Failure sein. Fällt der UNS aus, kann dies schwerwiegende Auswirkungen auf alle verbundenen Systeme haben. Um dies zu vermeiden, werden in der Praxis robuste Redundanzstrategien implementiert. Diese umfassen z.B. verteilte Architekturen und automatische Failovers.

2. Integration von OT und IT Systemen in den Unified Namespace (UNS): Um heterogene OT- und IT-Systeme (z.B. Steuerungen, SAP) an den Broker anzubinden, wird in der Praxis oftmals ein Gateway zur Integration dieser Systeme eingesetzt. Diese stellt die entsprechenden OT/IT-Konnektoren bereit und strukturiert alle Daten gemäß den definierten Namenskonventionen und Datenstrukturen.

OT/IT Integration in den UNS

Dabei wird gewährleistet, dass die Daten angebundener Datenquellen gemäß einem definierten Standard im Broker veröffentlicht werden. Nur so kann jedes System oder Benutzer diese Daten ohne Mehraufwand direkt abrufen und interpretieren. Die Standardisierung, insbesondere der heterogenen Maschinenwelt, gilt als Schlüssel für eine skalierbare Anwendung des Unified Namespace (UNS) in der Fertigungsindustrie. Weitere Informationen zu wesentlichen Komponenten einer UNS Architektur finden Sie hier.

 

Schritt-für-Schritt-Anleitung zur erfolgreichen Implementierung

Zur Implementierung des Unified Namespace (UNS) in der Fertigungsindustrie sind folgende Schritte erforderlich (eine ausführliche Schritt-für-Schritt Anleitung finden Sie hier).

 

1. Definieren Sie Ihre Ziele im Bereich Daten Management

Identifizieren Sie die wichtigsten Anforderungen Ihrer Geschäftsbereiche (z.B. Erhöhung der Transparenz in den Betriebsabläufen), um daraus Ziele für das Datenmanagement auf Unternehmens-, Geschäftsbereichs- und Betriebsebene abzuleiten (z.B. Erhöhung der Datenzugänglichkeit). Legen Sie Prioritäten fest und setzen Sie messbare Ziele (z.B. Daten von System X für Abteilung Y zugänglich machen). Dies ist wichtig, um Ihren UNS Pilot Use-Case in einer späteren Phase zu überwachen.

 

2. Definieren Sie Ihre Daten Architektur

Voraussetzung für die erfolgreiche Anwendung des Unified Namespace (UNS) in der Fertigungsindustrie ist die Definition einer standardisierten Daten Architektur. Diese umfasst eine Blaupause, wie Fabrikdaten organisiert und verwaltet werden. Dazu zählen, wie Daten in den UNS publiziert, transformiert, gespeichert und von verschiedenen Benutzern abgerufen werden. Außerdem umfasst die Blaupause die Definition eines Datenmodells, welches die Repräsentation von OT Systemen im Broker beschreibt. Dabei ist ein Datenmodell ist ein abstrakter Archetyp zur Beschreibung von Eigenschaften realer Objekte (z.B. Maschinen, Prüfstände) und ihrer Beziehung zueinander. Es definiert im Wesentlichen die Struktur der Daten (z.B. wie Daten in einer Anwendung empfangen oder angezeigt werden).

Die Definition eines unternehmensweiten Datenmodells kann herausfordernd sein. Denn in der Praxis existiert oftmals noch kein vollständiges Bild aller Use-Cases und Anforderungen in den Fabriken. Daher gilt:

  1. Verwenden Sie allgemeine Standards als Grundlage (z.B. ISA95, OPC UA Companions, Spezifikationen von Konsortien)
  2. Starten Sie mit einem Pilot Use-Case (z.B. unternehmensweite OEE Analyse)
  3. Entwickeln Sie das Datenmodell weiter, wenn sich Änderungen in den Use-Cases ergeben.

 

3. Identifizieren Sie relevante OT und IT Systeme

Identifizieren Sie die wichtigsten und relevanten OT/IT-Systeme zur Integration in den UNS. Beispiele sind SPSen, Sensoren, SCADA, Historiker, Datenbanken, MES und ERP-Systeme. Bestimmen Sie zudem die wichtigsten Stakeholder, die für die Systeme verantwortlich sind oder auf diese Ressourcen zugreifen müssen (z.B. Geschäftsanwender, Data Analysts). Beziehen Sie die Stakeholder mit in das Projekt ein.

 

4. Definieren Sie Ihre Infrastruktur

Die Dateninfrastruktur sollte von Ihren Zielen aus Punkt 1 abgeleitet werden. Dabei stellt die Infrastruktur sicher, dass die in Punkt 2 definierte Datenarchitektur fabrikübergreifend ausgerollt werden kann. Denken Sie daran, dass Sie in den Fabriken möglicherweise Echtzeit oder closed-loop Anforderungen haben, die bei der Definition der Serverinfrastruktur und der Netzwerke berücksichtigt werden müssen. Als Faustregel gilt: Vorverarbeitung und Harmonisierung von Fabrikdaten so nah an der Datenquelle wie möglich. Auf diese Weise machen Sie Daten früh im Netzwerk nutzbar und minimieren dabei Aufwände und Kosten in ihrer Cloudumgebung. Darüber hinaus ermöglichen Sie Use-Cases mit erhöhten Anforderungen bzgl. Latenzen und Sicherheit. In den meisten Fällen ist die Implementierung einer nahtlos integrierten Edge-to-Cloud Architektur am effektivsten (siehe Beispiel in Abbildung unten, i-flow als Fabrik-UNS kombiniert mit Azure IoT).

Industrial Unified Namespace (UNS) ArchitekturNeben der Definition von Servern und Netzwerken umfasst dieser Schritt auch die Auswahl einer geeigneten Middleware für den UNS. Die Middleware übernimmt die Integration der verschiedenen Systeme und stellt einen Message Broker als zentralen Ort für Ihre Fabrikdaten zur Verfügung. Im besten Fall macht ein Suchmechanismus das Auffinden Ihrer Fabrikressourcen so einfach wie möglich. Je intuitiver die UNS-Middleware aufgebaut ist, desto weniger Schulungen sind für Ihre Mitarbeiter erforderlich (z.B. für den Zugriff auf Ressourcen innerhalb des UNS).

 

5. Starten Sie mit dem Pilot Use-case

Priorisieren Sie potenzielle Use-Cases auf der Grundlage ihres Kosten-Nutzen-Verhältnisses, um einen Pilot Use-Case zu definieren. Überwachen und überprüfen Sie Ihren Pilot Use-Case im Hinblick auf Ihre Ziele aus Punkt 1.

 

Zusammenfassung

Daten sind für die Wettbewerbsfähigkeit der Fertigungsindustrie von entscheidender Bedeutung. Die effektive Nutzung von Daten in verschiedenen Fabriken ermöglicht Effizienz- und Qualitätsverbesserungen sowie Kostensenkungen auf globaler Ebene. Allerdings hält ein veraltetes Konzept die Branche zurück: applikationszentrische Architekturen. Warum glauben OT- und IT-Systemanbieter, dass Applikationen das Zentrum aller Dinge sind? Warum sind Daten oft „im Besitz“ des Systemanbieters bzw. der Applikation? Dieser Ansatz ist fundamental falsch!

Das Konzept des Unified Namespace (UNS) und dessen Anwendung in der Fertigungsindustrie korrigiert diesen Fehler. Der UNS stellt Daten in das Zentrum der Architektur. So werden Unternehmen zu wirklichen „Besitzern“ der eigenen Daten. Um die Daten herum werden dann wiederum Applikationen integriert. Das Ergebnis ist eine höhere Flexibilität, Interoperabilität und Datenverfügbarkeit. Dabei gibt es bei der Implementierung eines UNS in der Fertigungsindustrie einige Herausforderungen, die in der Evaluierung berücksichtigt werden sollten. Durch das Festlegen von klaren Schritten (wie z.B. der Definition von Daten Management Zielen) können Sie das Risiko minimieren, mit dem UNS nicht einfach eine weitere Applikation (anstelle Ihrer Daten) in den Mittelpunkt Ihrer Architektur zu stellen.

Über i-flow: i-flow ist ein Unternehmen für industrielle Software mit Sitz in Süddeutschland. Wir bieten produzierenden Unternehmen die weltweit intuitivste Software zur Vernetzung von Fabriken. Täglich über 400 Millionen Datenoperationen in produktionskritischer Umgebung demonstrieren nicht nur die Skalierbarkeit der Software, sondern auch das tiefe Vertrauen, das unsere Kunden in i-flow setzen. Unser Erfolg basiert auf enger Zusammenarbeit mit Kunden und Partnern weltweit, darunter namhafte Fortune-500-Unternehmen und Branchenführer wie Bosch.

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