Datenmodellierung im Unified Namespace (UNS) – ein Leitfaden

Inhalt

In der modernen Fertigungsindustrie ist die effiziente Vernetzung von IT- und OT-Systemen ein entscheidender Erfolgsfaktor. Die Industrial Unified Namespace (UNS) Architektur gewinnt dabei zunehmend an Bedeutung. Im Mittelpunkt dieser Architektur steht die Datenmodellierung, welche definiert, wie Daten strukturiert und anderen Systemen im Unified Namespace (UNS) zugänglich gemacht werden. Datenmodellierung ist essenziell, um Interoperabilität, Skalierbarkeit und eine hohe Datenqualität zu gewährleisten. Dieser Artikel bietet daher eine praxisorientierte Schritt-für-Schritt-Anleitung zur Entwicklung und Implementierung von Datenmodellen im UNS.

 

Warum ist Datenmodellierung essenziell?

Vor der Ära des Internets der Dinge (IoT) lag der Fokus der Betriebstechnik (OT) auf Echtzeitüberwachung und Steuerung. Systeme wurden hauptsächlich darauf ausgelegt, robust und effizient zu arbeiten, ohne Berücksichtigung von nachfolgenden Datenanalysen oder komplexen IT/OT Integrationsszenarien. Daten wurden pragmatisch und zweckorientiert genutzt, oft in herstellerspezifischen, proprietären Datenmodellen. Mit dem Aufkommen von Industrie 4.0 hat sich dieses Paradigma grundlegend verändert. Heute erkennen Unternehmen den enormen Wert von strukturierten und standardisierten Daten, z.B. im Kontext der Unified Namespace (UNS) Architektur. Hierbei ist die Datenmodellierung ist ein zentraler Baustein dieser Architektur und bietet entscheidende Vorteile, unter anderem:

  • Interoperabilität: Moderne Fertigungsumgebungen bestehen aus einer Vielzahl von IT/OT Systemen unterschiedlicher Hersteller. Datenmodellierung stellt eine gemeinsame Sprache und Struktur für die Kommunikation zwischen den Systemen im UNS bereit. Dies ermöglicht:
    • Nahtlose Integration verschiedener Systeme
    • Kompatibilität über das gesamte Ökosystem hinweg
  • Reduktion von Kommunikationsbarrieren: Standardisierte Datenmodelle sorgen für Einheitlichkeit und Eindeutigkeit. Vorteile sind:
    • Verbesserte Datenqualität durch definierte Semantiken und Datenformate
    • Konsistenz und Eindeutigkeit reduzieren Fehler und führen zu einer verlässlicheren Entscheidungsfindung
  • Skalierbarkeit und Flexibilität: Fertigungssysteme entwickeln sich ständig weiter. Hierbei schafft Datenmodellierung eine skalierbare Grundlage, die:
    • die Integration neuer Technologien und Systeme erleichtert
    • Flexibilität für sich ändernde Anforderungen bietet

 

Was ist Datenmodellierung im Kontext des Unified Namespace (UNS)?

Datenmodellierung ist der Prozess der strukturierten Darstellung von Daten in einem bestimmten Kontext, z. B. des Industrial Unified Namespace (UNS). Ziel ist es, ein plattformunabhängiges Modell zu schaffen, das die Daten, ihre Attribute und Zusammenhänge klar definiert. Dadurch entsteht ein einheitliches Verständnis der Daten im Unternehmen – insbesondere zwischen OT-, IT- und Business-Experten.

Data Modeling in the Unified Namespace (UNS)

Die Datenmodellierung schafft Vertrauen in die Daten und ihre Anwendungen, erfordert jedoch eine Investition an Ressourcen. Allerdings lohnt sich diese Investition, da sie Stabilität, Anpassungsfähigkeit und Skalierbarkeit für den Unified Namespace (UNS) ermöglicht. Für die Modellierung von Daten sind in der Praxis zwei Vorgehen üblich, die jeweils Vor- und Nachteile mit sich bringen.

 

1. Konsortienbasierte Datenmodellierung

Diese Methode basiert auf standardisierten Datenmodellen, die von Industrie-Konsortien oder Organisationen gemeinsam entwickelt werden (z. B. OPC UA Companions).

  • Vorteile
    1. Einhaltung von Best Practices der Branche
    2. Leichtere Integration mit externen Partnern und Systemen durch einheitliche Standards für die gesamte Branche
    3. Vermeintliche Beschleunigen bei der Implementierung
  • Nachteile
    1. Hohe Komplexität erschwert die praktische Anwendbarkeit und Umsetzung erheblich
    2. Eingeschränkte Nutzbarkeit, da die Modelle oft auf sehr allgemeine Anforderungen ausgelegt sind.
    3. Anpassung an spezifische Bedürfnisse kann schwierig sein.

 

2. Use-Case basierte Datenmodellierung

Hier wird das Datenmodell speziell auf individuelle Use-Cases oder unternehmensspezifische Anforderungen zugeschnitten.

  • Vorteile 
    1. Hohe Flexibilität, da das Modell in der eigenen Hoheit liegt.
    2. Hohe Wirkungskraft, da es genau auf die spezifischen Anforderungen abgestimmt ist.
    3. Schnelle Umsetzung, da nur relevante Daten und Beziehungen berücksichtigt werden.
  • Nachteile
    1. Gefahr fehlender unternehmensweiter Standardisierung, da plattformabhängige, individuelle Datenmodelle entstehen können.
    2. Geringe Kompatibilität mit unternehmensübergreifenden, externen Systemen.
    3. Höherer Wartungsaufwand, da individuelle Modelle regelmäßig angepasst und gepflegt werden müssen.

 

Hinweis: Aufgrund der hohen Komplexität und der noch fehlenden flächendeckenden Etablierung konsortienbasierter Datenmodelle werden in der Praxis häufig beide Ansätze kombiniert. Dabei entstehen Use-Case basierte Datenmodelle, die sich an den Best Practices und Standards der Konsortien orientieren. Dieser Ansatz wird nachfolgend beschrieben.

 

Was ist ein Datenmodell?

Ein Datenmodell bildet die Grundlage der Datenmodellierung und definiert die Struktur, Organisation und Beziehungen von Daten innerhalb des Unified Namespace (UNS). Es legt fest, wie Daten von Systemen und Anwendungen präsentiert und empfangen werden. In einem Datenmodell werden unter anderem folgende Aspekte definiert:

  1. Entitäten
    • Beschreiben die grundlegenden Datenobjekte, die im Unified Namespace (UNS) abgebildet werden.
    • Beispiele: Maschine, Sensor, Produktionsauftrag
  2. Attribute
    • Beschreiben die Eigenschaften der Entitäten.
    • Beispiele: statische Eigenschaften (z. B. Herstellerinformationen), dynamische Eigenschaften (z. B. Zeitstempel, Status oder Temperatur).
  3. Beziehungen
    • Beschreiben, wie Entitäten oder Attribute miteinander verbunden sind.
    • Beispiel: Ein Produktionsauftrag besteht aus mehreren Unteraufträgen (Auftragsnetz)
  4. Datentypen
    • Geben an, welchen Typ von Daten ein Attribut enthalten kann.
    • Beispiele: Integer, String, Boolean, Zeitstempel.

 

Schritt-für-Schritt Anleitung: Datenmodellierung im Unified Namespace (UNS) 

Die Erstellung eines Datenmodells kann zunächst komplex erscheinen. Allerdings kann eine schrittweise Vorgehensweise und die Konzentration auf spezifische Use-Cases den Prozess erheblich vereinfachen.

The 2 Phases of Use-Case Based Data Modeling in the Unified Namespace (UNS)

 

Phase 1: Konzeptionelle Datenmodellierung

In dieser Phase werden die relevanten Entitäten und Attribute auf einer abstrakten Ebene identifiziert (konzeptionell). Anschließend werden diese in einem detaillierten, technologieunabhängigen Modell konkretisiert. Ziel dieser Phase ist ein konzeptionelles Modell, welches die Anforderungen Ihrer Use-Cases erfüllt. Gehen Sie hierfür wie folgt vor:

 

1. Use-Cases priorisieren

Priorisieren Sie relevante Use-Cases für Ihren Industrial Unified Namespace (UNS) auf Basis einer Aufwand-Nutzen-Analyse. Berücksichtigen Sie dabei die spezifischen Anforderungen relevanter Stakeholder. Dazu gehören:

  1. OT-Experten (z. B. Steuerungstechniker): Kennen sich mit Fabriksystemen aus (z.B. Maschinen oder zentralen SPSen) und wissen, wie auf die Systeme zugegriffen werden kann.
  2. IT-Experten (z. B. IT-Verantwortlicher für Fabrik oder Unternehmens-IT): Verstehen den Zugriff auf Unternehmens- oder Cloud-Systeme (z.B. Tableau oder ERP) und wissen, wie Daten für diese Systeme bereitgestellt werden müssen.

Fokussieren Sie sich zu Beginn auf einen einfach zu implementierenden Use-Case, der einen hohen Nutzen bringt. Ein typisches Beispiel hierfür ist das Asset Health Monitoring zur Überwachung von Maschinenzuständen und Reduktion von Stillständen. Einfache Use-Cases bieten in der Regel eine gute Grundlage zum Erstellen eines Datenmodells und stellen sicher, dass das Datenmodell praktischen Anforderungen entspricht.

 

2. Relevante Datenkategorien identifizieren

Ermitteln Sie relevante Datenkategorien, die für Ihren Use-Case von Bedeutung sind. Dabei lassen sich Maschinendaten in der Regel in drei grundlegende Klassifikationen einteilen, die jeweils spezifische Anwendungsszenarien abdecken:

  1. Telemetriedaten
    • Umfasst die Übertragung von Rohdaten an höhere Ebenen (z. B. für die Cloud-Analyse).
    • Enthalten sind Rohdaten (z. B. Echtzeit-Temperatur, hochfrequente Vibrationsmessungen) sowie wichtige Metadaten wie den Zeitstempel der Messung.
    • Beispiel Use-Case: Asset Monitoring und Analytics.
  2. Befehl- und Steuerungsdaten
    • Kategorie war aufgrund der zeitlichen Sensitivität traditionell auf die Produktionsebene beschränkt. Durch Fortschritte in der hybriden Edge-to-Cloud Architektur werden jedoch zunehmend Steueraktionen mithilfe von höheren Ebenen automatisiert.
    • Nachrichten enthalten typischerweise Produktauftragsdetails, Rezept- und Prozessparameter.
    • Beispiel Use-Case: Automatisierte Entscheidungszyklen (closed-loop) für eine kontinuierliche, automatisierte Anpassung und Optimierung der Produktionsprozesse.
  3. Managementdaten
    • Spielen eine wichtige Rolle im umfassenden Maschinenmanagement.
    • Beinhalten dynamische und statische Metadaten (z. B. Maschinen-ID, Hersteller, Maschinenkonfigurationen, Informationen zur letzten Wartung).
    • Beispiel Use-Case: Wartungsmanagement

Kategorien von Maschinendaten im Unified Namespace (UNS)

Jede Datenkategorie hat eigene Anforderungen an die Datenkommunikation und -verarbeitung, wie Kritikalität, Frequenz oder Zielsysteme. Deshalb kann es sinnvoll sein, sie in separaten Datenmodellen darzustellen. So können kritische und nicht-kritische Kommunikation besser unterschieden, segmentiert und passende Zugriffsrechte festgelegt werden.

 

3. Relevante IT/OT-Systeme bestimmen

Identifizieren Sie relevante Datenquell- und Zielsysteme für den Use-Case und klären Sie folgende Punkte:

  1. Welche Entitäten sind für den Use-Case relevant (z. B. Maschinen)?
  2. Welche Attribute sind notwendig, um Ihren Use-Case umzusetzen? Z. B. Betriebsstatus der Maschine (Automatic, Idle, Stopped, Error).
  3. Welche Daten sind am Quellsystem verfügbar, und wie können diese abgerufen werden (z. B. über xml-Dateien, OPC-UA)?
  4. Wie erfolgt der Zugriff auf die Zielsysteme, und wie werden die Daten empfangen? Z. B. über eine REST-API oder über Datenbank Abfragen.
  5. Gibt es ein spezielles Datenformat oder Datentyp, welches Ihr Zielsystem erwartet (z. B. JSON oder Buffer)?
  6. Wie häufig müssen die Daten aktualisiert werden, und was löst das Update aus (z. B. ereignisbasiert oder zyklisch)?

Konzentrieren Sie sich zunächst auf die spezifischen Anforderungen des priorisierten Use-Cases. Mit der Zeit können Sie das Datenmodell flexibel anpassen und schrittweise erweitern.

 

4. Datenmodell definieren

Definieren Sie das Datenmodell für die definierten Entitäten. Nutzen Sie bei Bedarf etablierte Industriestandards wie OPC UA Companions als Orientierung und definieren Sie die folgenden Elemente:

  1. Attributname
    • Definieren Sie den Namen der Attribute. Sorgen Sie dabei für Konsistenz in all Ihren Datenmodellen.
    • Beispiel: Ein Attribut wie CncOperationMode sollte in allen Datenmodellen identisch benannt sein.
  2. Beschreibung
    • Fügen Sie zusätzlichen Kontext hinzu, um das Attribut interpretierbar zu machen.
    • Beispiel für die Variable CncOperationMode: Wert=‘0‘: Automatic; Wert=‘1‘: Idle; Wert=‘2‘: Stopped; Wert=‘3‘: Error.
  3. Einheit der Variable
    • Achten Sie darauf, die Einheiten von Attributen über alle Datenmodelle hinweg konsistent zu halten.
    • Beispiel: Temperatur immer in °C.
  4. Default Werte
    • Default Werte können relevant sein, falls: das Zielsystem bei Initialisierung mit vordefinierten Zuständen starten muss; Fallback-Werte notwendig sind, wenn bestimmte Daten fehlen.
    • Beispiel: 1 (= Idle) als Default Wert für CncOperationMode.
  5. Datentyp
    • Achten Sie darauf, dass Datentypen über alle Datenmodelle hinweg konsistent sind.
    • Beispiel: Integer für CncOperationMode.

 

Phase 2: Physische Datenmodellierung

In der Phase der physischen Datenmodellierung übertragen Sie die Daten realer Objekte (z. B. Maschinen) auf die Attribute Ihres konzeptionellen Modells. Hierdurch entstehen standardisierte physische Modelle (digitale Assets), die im Unified Namespace (UNS) veröffentlicht werden können. Für eine detaillierte Beschreibung folgen Sie bitte unseren technologiespezifischen Schritt-für-Schritt-Anleitungen, unter anderem:

 

1. Veröffentlichung im Unified Namespace (UNS)

Definieren Sie, wo innerhalb der MQTT-Topic-Hierarchie die Daten veröffentlicht werden sollen. Achten Sie dabei auf Best Practices und folgen Sie den Leitlinien für die Gestaltung der Topic-Hierarchie.

MQTT Topic Hierarchie mit standardisierten Datenmodellen im Unified Namespace (UNS)

 

2. Validierung des Datenmodells

Die Validierung des Datenmodells stellt sicher, dass es die Anforderungen des Use-Cases erfüllt. Testen Sie den Use-Case end-to-end, um die korrekte Umsetzung zu prüfen. Binden Sie dabei das Zielsystem in den Unified Namespace (UNS) ein und überprüfen Sie, ob das Datenmodell alle Anforderungen des Zielsystems abdeckt. Nach erfolgreicher Validierung können Sie das Datenmodell und den Use-Case produktiv einsetzen.

 

3. Iterative Anpassung

Datenmodellierung im Unified Namespace (UNS) ist kein einmaliger Prozess. Vielmehr müssen Datenmodelle im Laufe der Zeit an neue Anforderungen angepasst werden. Eine iterative Anpassung stellt sicher, dass das Datenmodell den aktuellen Anforderungen entspricht. Durch eine Versionierung können Sie Änderungen am Datenmodell nachverfolgen. Legen Sie dabei klare Richtlinien und Verantwortlichkeiten für die Erstellung und Anpassung von Datenmodellen fest. Nur so können Sie die Qualität und Konsistenz der Daten im UNS langfristig gewährleisten.

 

Fazit

Die Industrial Unified Namespace (UNS) Architektur ist ein Schlüssel zur effizienten Vernetzung von IT- und OT-Systemen in der modernen Fertigung. Datenmodellierung bildet dabei die Basis, um Interoperabilität, Skalierbarkeit und Datenqualität sicherzustellen. Der schrittweise Ansatz und der Fokus auf konkrete Use-Cases erleichtern den Einstieg und unterstützen Unternehmen dabei, ihre Datenarchitektur nachhaltig zu verbessern.

Über i-flow: i-flow ist ein Unternehmen für industrielle Software mit Sitz in Süddeutschland. Wir bieten produzierenden Unternehmen die weltweit intuitivste Software zur Vernetzung von Fabriken. Täglich über 400 Millionen Datenoperationen in produktionskritischer Umgebung demonstrieren nicht nur die Skalierbarkeit der Software, sondern auch das tiefe Vertrauen, das unsere Kunden in i-flow setzen. Unser Erfolg basiert auf enger Zusammenarbeit mit Kunden und Partnern weltweit, darunter namhafte Fortune-500-Unternehmen und Branchenführer wie Bosch.

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